Erste Schritte
Die folgenden Infos sollen euch dabei helfen, ein Awareness-Konzept für eure Kulturveranstaltungen zu erarbeiten. Sie sind ein Transfer aus dem Seminar „Awareness für Kulturarbeiter*innen“ in Köln im Juni 2024.
Was ist Awareness im Veranstaltungskontext?
Als Veranstalter*innen sind wir dafür verantwortlich, unsere Räume möglichst sicher zu gestalten. Wir leben in einer Welt, in der strukturelle Machtverhältnisse Ungerechtigkeit schaffen und Menschen sehr unterschiedliche Privilegien haben. Dadurch werden Gewalt und Diskriminierung auch auf Kulturveranstaltungen reproduziert. Es gilt, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie Unterdrückungsmechanismen funktionieren und wie unterschiedliche Diskriminierungsformen zusammenspielen. Auf dieser Basis können Strategien entwickelt werden, wie die Ungerechtigkeit minimiert werden kann. Awareness beschreibt, dass alle gemeinsam ein rücksichtsvolles Miteinander im Kontext von Veranstaltungen herstellen, in dem sich jede Person möglichst wohl und sicher fühlen kann. Wesentlich sind die beiden Grundpfeiler der Prävention von Diskriminierung und Grenzüberschreitungen und der Intervention durch Unterstützungsarbeit für betroffene Personen. Eine weitverbreitete Strategie ist es, zu diesem Zweck Awareness-Teams auf der Veranstaltung zu haben. Die Aufgabe von Awareness-Teams ist es, für Teilnehmende von Veranstaltungen ansprechbar zu sein, falls diese von übergriffigem, diskriminierendem oder Grenzen verletzendem Verhalten betroffen sind oder es beobachten. Für die Unterstützungsarbeit gibt es vor allem zwei wesentliche Prinzipien: Definitionsmacht und Parteilichkeit.
Was sind elementare Grundprinzipien von Awareness?
Definitionsmacht meint, dass von Grenzüberschreitung betroffene Personen selbst definieren können, wann ihre Grenze erreicht ist. Awareness-Arbeit nimmt Abstand davon, nach scheinbar objektiven Kriterien für eine Bewertung zu suchen, sodass Betroffene sich nicht für ihr Erleben rechtfertigen müssen. Awareness-Teams sind parteilich/parteiisch: Sie sind auf der Seite der betroffenen Personen und begleiten diese dabei zu formulieren, was ihre Bedürfnisse sind, etwa wie die Veranstaltung wieder zu einem sichereren Raum für sie werden kann.
Über welche personellen, zeitlichen, räumlichen und finanziellen Ressourcen verfügt euer Team zur Auseinandersetzung mit Awareness?
Es gilt genau zu prüfen, welche Kapazitäten und Ressourcen euch zur Verfügung stehen, damit ihr euch bewusst für konkrete Schritte in eurem Awareness-Prozess entscheiden könnt, ohne euch zu übernehmen. Gibt es Personen in eurem Team, die innerhalb ihrer bezahlten Arbeitszeit ein Zeitkontingent für die Weiterentwicklung von Awareness zugesprochen bekommen können? Welche finanziellen Ressourcen habt ihr für Awareness-Prozesse? Habt ihr einen Raum, den ihr als Rückzugsraum für betroffene Personen ausweisen könnt und den das Awareness Team für Beratungen nutzen kann?
Bildet euer Team verschiedene soziale Positionierungen ab? Spiegelt sich Diversität in eurem Booking wieder? Wer ist euer Publikum?
Die Reflektion der eigenen Privilegien und die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Formen der Diskriminierung bilden die Grundlage dafür, dass eine tragfähige Awareness-Struktur entstehen kann. Wenn sich in den Reihen von Veranstaltenden Menschen wiederfinden, die sich verschiedenen sozialen Gruppen zugehörig fühlen, fließt ihre davon geprägte Perspektive in die Veranstaltungsgestaltung mit ein. Das bedeutet, dass wenn auch FLINTA*, BIPoC, Menschen mit Behinderungen oder Menschen mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Muttersprachen in euren Reihen Events planen und organisieren, wird das im Programm sichtbar werden und damit auch ein breiteres Publikum ansprechen. Vielfältige, diverse Perspektiven zu stärken, ist ein Kernanligen von Awareness.
Kennt euer Team die Grundlagen von Awareness und gibt es eine gemeinsame Haltung zu Awareness im Veranstaltungskontext?
Oftmals gibt es Vorreiter*innen, denen es ein Anliegen ist, Awareness im Kontext ihrer Veranstaltungen zu stärken und zu verankern. Sie verfügen häufig über Wissen, dass anderen noch nicht zugänglich ist. Bei der Entwicklung von Awareness-Strukturen ist es sehr wichtig, dass alle im Team mitgenommen werden und Bedenken und Diskussionbedarfe ihren Raum bekommen und miteinander besprochen und diskutiert werden. Wenn die Mehrheit mit ins Boot geholt werden kann, sich tiefergehend mit dem Thema zu befassen, bieten Workshops und Beratung das Potenzial, alle auf den gleichen Wissensstand zu bringen und sich gemeinsam eine Haltung zu erarbeiten, die zu dem Veranstaltungskonzept passt.
Habt ihr für eure Veranstaltungen gemeinsame Werte für das Zusammenkommen formuliert? Gibt es einen Verhaltenskodex? Was wollt ihr mit eurem Projekt in die Welt bringen?
Was sind damit verbundene Werte, für die ihr einsteht und die ihr auf euren Veranstaltungen umgesetzt sehen wollt? Welche Verhaltensrichtlinien lassen sich dadurch, für die verschiedenen Akteur*innen auf euren Veranstaltungen, ableiten? Wenn ihr euren Wertekanon verschriftlicht, wird er für euch mehr Klarheit gewinnen und von allen Mitwirkenden und euren Gäst*innen als Handlungsleitfaden geschätzt. Wenn für eure Veranstaltungen eine gemeinsame Vision wegweisend ist, könnt ihr aus dieser bereits eure Werte ableiten.
Gibt es No Gos auf euren Veranstaltungen? Wenn ja, welche? Welche Konsequenzen folgen, wenn diese No Gos nicht eingehalten werden?
No Gos sind schwere Vergehen gegen die Werte eines Miteinanders im Rahmen einer Veranstaltung. Wenn ihr im Team diese roten Linien für inakzeptables Verhalten unter Mitarbeitenden oder der Crew, ebenso wie Artists oder Publikum klar definiert habt, fällt es euch leichter, im Falle eines Falles schnell und umsichtig zu handeln. Damit können im Extremfall Hand in Hand Ausschlüsse von grenzüberschreitenden oder gewalttätigen Personen umgesetzt werden. Die für die Veranstaltungssicherheit verantwortlichen Teams wie Security und Awareness können sich auf diese Verhaltensregeln beziehen um Konsequenzen umzusetzen, insbesondere wenn sie veröffentlicht werden, beispielsweise als Teil eines Verhaltenskodex.
Kommuniziert ihr euren Verhaltenskodex und eure No Gos im Vorab? Ist ersichtlich, an wen sich eure Besucher*innen bei Vorfällen oder Beschwerden wenden können?
Wenn ihr im Vorab und auch während der Veranstaltung (durch Mails, Aushänge, ...) klar kommuniziert, was euer Verhaltenskodex umfasst, können sich eure Besucher*innen, Künstler*innen und Crew bzw. Teammitglieder daran orientieren und ihr könnt euch darauf berufen. Macht deutlich, an wen sich alle wenden können mit ihren Fragen, Beschwerden oder Anliegen: Wer ist für Fragen im Vorhinein zuständig? Wer ist während der Veranstaltung ansprechbar? Wen kann man im Nachhinein erreichen und über welche Kanäle? Seid euch dabei eurer Kapazitäten bewusst: Eine Emailadresse etwa, bei der sich niemand verantwortlich fühlt, sie zu betreuen, kann eher schaden als nutzen.
Wer trifft Entscheidungen in eurem Team und wer hat Mitspracherecht? Welche offenen und welche verdeckten Hierarchien gibt es? Wer entscheidet über einen Ausschluss von der Veranstaltung?
Hätte ein Awareness-Team unter bestimmten Voraussetzungen die Befugnis, Menschen von den Veranstaltungen auszuschließen? Für eine erfolgreiche Unterstützungsarbeit von Grenzüberschreitungen oder Gewalt betroffenen Personen ist es unerlässlich, dass Klarheit darüber bestehtherrscht, wer auf eurer Veranstaltung das Hausrecht hat. Seid ihr es als Veranstaltende selbst, die das letzte Wort haben, ob eine Person von dem Event ausgeschlossen wird, oder folgt ihr uneingeschränkt den Handlungsempfehlungen des Awareness-Teams, die als Grundlage den Wunsch der betroffenen Personen haben? In diesem Zusammenhang ist es zudem bedeutsam, dass allen Beteiligten die Kommunikationswege bekannt sind und die entsprechenden Kommunikationsmittel zur Verfügung stehen, sodass solche Entscheidungen reibungslos umgesetzt werden können.
Awareness-Arbeit ist ein Prozess.
Es ist essenziell, dass ihr euch weiterbildet und eure Struktur beständig hinterfagt und weiterentwickelt. Jeder Schritt ist dabei ein wertvoller Schritt, den es sich lohnt zu gehen. Nehmt euch dafür Zeit und setzt lieber weniger um, wenn es dafür gründlich durchdacht ist.